Hyehyeon Kwon – Movable Point

Einzelausstellung

12.10.2021  -  16.10.2021

In ihrer Einzelausstellung “Movable Point” verwandelt Hyehyeon Kwon (1990, Südkorea) die urbane Ikonographie Berlins in etwas Unbekanntes und lädt uns ein, es neu zu betrachten.

In ihrer neuen Arbeit weitet die in Seoul lebende Installations- und Keramikkünstlerin ihr Interesse an der Idee von “Zuhause” auf “Ort” aus, und schließt dabei Überlegungen zu Zugehörigkeit, Migration, Mobilität, Wahrnehmung und Orientierung in ihre Arbeit mit ein. Während ihres vom Arts Council Korea – ARKO unterstützten Künstleraufenthalts im Sommer/Herbst 2021 bei SomoS ließ sich Kwon von den Zeichen, Symbolen und Karten inspirieren, die das Berliner Informationsnetz bilden. Die Ergebnisse ihrer kreativen Stadtforschung werden in einer Installation aus Zeichnungen und Keramikarbeiten präsentiert, die vom 12. bis 16. Oktober 2021 im SomoS Kunstraum zu sehen ist.

Ambactia Memoria Panorama

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Movable Point - solo show by Hyehyeon Kwon at SomoS

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Als zeitgenössische bildende Künstlerin möchte Hyehyeon Kwon die Keramik aus dem Bereich des Kunsthandwerks herausheben und ihre Möglichkeiten über die vorgegebenen Grenzen hinaus erweitern. Sie verlässt die Sphäre des Handwerks und wendet einen fachübergreifenden Ansatz an, welcher Zeichnung, Keramik und Installation miteinander verbindet. Während das Kunsthandwerk mit Nützlichkeit, Häuslichkeit, Introvertiertheit, Tradition und Konservatismus assoziiert wird, bringt sie stattdessen Weltlichkeit, Aufgeschlossenheit, Engagement und einen Sinn für Weltoffenheit und Fortschrittlichkeit ein, und zeigt somit einen feministischen Aspekt ihrer Praxis als junge koreanische Künstlerin.

Hyehyeon Kwon - Movable Point
Hyehyeon Kwon – BVG mit Maske, 2021
Keramikfliesen, Glasur, 1050C-Brand, Marker auf Wasserbasis, Nagellack, 61×61cm

Nachdem sie sich zunächst intensiv mit Konzepten des Zuhauses wie Geoffrey Haywards Neun phänomenologische Konzepte des Hauses und “Die philosophische Theorie des Hauses” von Gaston Bachelard befasst hatte, hat Kwon diesen Schwerpunkt allmählich auf die Erforschung des Begriffs des Ortes und der Idee von Heimat als beweglichem und dynamischem “eigenen Ort” ausgeweitet, einschließlich Überlegungen zu Zugehörigkeit, Mobilität, Migration und Orientierung. Wie der Kritiker Lee Dong-hyun in der Zeitschrift Viewers bemerkte, handelt es sich bei ihrem Werk “um eine neue Wahrnehmung des Zuhauses, die sich auf nicht-physische Medien wie Texte und Bilder konzentriert und nicht auf den traditionellen physischen Raum, in dem individuelle Erfahrungen gesammelt werden”.

Hyehyeon Kwon
Hyehyeon Kwon – Humboldthafen, 2021
Keramikfliesen, 1050C-Brand, Nagellack, glasiert
61x91cm

In diesen neuen, von Berlin inspirierten Arbeiten thematisiert Kwon Bewegung, Raum und den Platz des Einzelnen. Inspiriert von Großstädten und den Zeichen und Symbolen, die ihre Bewohner informieren und leiten, gelingt ihr eine kreative Interpretation dieser urbanen Informationsstruktur, indem sie sich universelle und wiedererkennbare grafische Elemente aneignet und mit dem Begriff der “Einheit” arbeitet, zu denen auch der Punkt gehört, ein wesentliches und wiederkehrendes Symbol in ihrer Arbeit.

Die Künstlerin erläutert dies:

Ein Punkt steht für ein Individuum und ein gegenwärtiger Moment. Jeder dieser Punkte formt die Welt räumlich, das Leben zeitlich. Der Punkt wird zu einem Land auf der Weltkarte und zu einer Station auf dem U-Bahn-Plan. Er wird auch zu einem Pixel und besteht aus Buchstaben und Zahlen auf dem Flughafenfahrplan. Der Punkt in meiner Arbeit ist Ausdruck eines abstrakten Ortes.

Hyehyeon Kwon, Artist’s Statement

In Kwons Werk sind die Punkte somit Teil einer persönlichen Sprache, die wiederum eine Erzählung hervorbringt. In diesem Prozess, der auch eine soziale Komponente des Lernens und des Austauschs von Meinungen über Zugehörigkeit und Herkunft hat, berücksichtigt sie die Perspektiven anderer Menschen, um ihren “eigenen Ort” zu entdecken.

Neben einer Videoinstallation, die ihre fotografische Recherche der urbanen Ikonographie Berlins dokumentiert, präsentiert die Ausstellung zwei neue Werkgruppen, die zeigen, wie Kwon ihre Ergebnisse auf Papier bzw. Keramik interpretiert hat. Die unterschiedliche Beschaffenheit dieser Medien ermöglicht es der Künstlerin, sowohl spontan als auch systematisch zu arbeiten, wobei die anfänglichen Papierarbeiten zu den formaleren Keramikfliesen führen.

Hyehyeon Kwon
Hyehyeon Kwon – (clockwise)Automat /Umlaut/Berlin/ Pfand, 2021
Hyehyeon Kwon – (im Uhrzeigersinn) Automat /Umlaut/Berlin/ Pfand, 2021
Keramikfliesen, Glasur, 1050°C-Brand, Nagellack
31×31cm

Ihre sehr haptischen und farbintensiven Punkte werden mit Nagellack auf die Keramikoberflächen aufgetragen. Kwon folgt zwar nicht blind dem gesellschaftlichen Schönheitsdiktat, weiß aber die mächtige koreanische Kosmetikindustrie dafür zu schätzen, dass sie eine breite Palette von Nagellackfarben anbietet, die jeden Kunstmaler neidisch machen würde. Während sie die Erwartungen der koreanischen Gesellschaft an Frauen unterläuft, indem sie Nagellack eher auf ihre Kunstwerke als auf sich selbst aufträgt, passt die Vergänglichkeit des Nagellacks als Medium auch auf andere Weise zu Kwons Erzählung: Es suggeriert, dass die Position eines jeden Punktes nicht feststeht, sondern vorübergehend und potenziell beweglich ist. Auf diese Weise stellen ihre Punkte lediglich eine flüchtige Konstellation dar, die möglicherweise auf die Vergänglichkeit der Punkte unserer Existenz anspielt.

Auf den ersten Blick wirken ihre schwer zu fotografierenden keramischen Oberflächen reduziert, bei näherer Betrachtung jedoch scheinen sie ihre luxuriöse kosmetische Anspielung zu vertiefen: Schimmernde Flächen kontrastieren mit Bereichen malerischer urbaner Patina und Verschmutzung; immer diskret, aber reich an Detail.

Die Stücke jeder Serie enthalten Darstellungen von Rastern, die aus Punkten bestehen, und sind ihrerseits an den Wänden der Galerie als ein ausgedehntes Raster aus Punkten platziert. Und wenn wir Kwons Gedanken folgen und noch weiter herauszoomen, könnten wir uns vorstellen, dass der Ausstellungsbesucher in einem der Punkte gefangen ist, die ihre verschiedenen Ausstellungen in der ganzen Welt repräsentieren.

In ihrer strengen inneren Logik, der Verwendung von Wiederholungen, Rastern und Serialität erinnern Kwons Installationen an die Traditionen der Minimal- und Konzeptkunst. Auf den ersten Blick scheint Hyehyeon Kwons Kunst auch von einer besonderen Aufmerksamkeit für Grafikdesign inspiriert zu sein, sowohl was den Prozess der Rasterung als auch die entstehenden Punktformen betrifft. Doch was ihre Bilder antreibt, geht weit darüber hinaus. Als Außenseiterin, die vor kurzem in einer fremden Stadt angekommen ist und keinen Zugang zur gesprochenen Sprache hat, erschafft Hyehyeon sich eine “sichere Realität”, deren Symbole und Ikonen sie unkenntlich macht. Gewöhnliche Stadtschilder wie die der U-Bahn, von Supermärkten, öffentlichen Bibliotheken und Ampeln werden aus ihren ursprünglichen Proportionen gerissen, um schließlich als mutierte Formen wieder aufzutauchen. Die Verzerrung dient hier dazu, eine Art Widerspruch zu erzeugen. Die Intention der Künstlerin ist es, die Betrachter vor ihren kulturellen Zeichen zu verwirren – eine ironische Art und Weise, den Einheimischen das Gefühl zu geben, ein Außenseiter zu sein.

Kwon bedient sich dabei wirkungsvoll der “Entfremdung”, des klassischen künstlerischen Mittels, das darauf abzielt, das Vertraute fremd erscheinen zu lassen, und das erstmals 1917 vom russischen Schriftsteller Viktor Shklovsky beschrieben und von Künstlern wie den Dadaisten, den Situationisten, Bertolt Brecht und Science-Fiction-Autoren angewandt wurde. Später wurde es in Jacques Derridas Konzept der Différance verkompliziert und in jüngster Zeit für das digitale Zeitalter als “uncanny”, “das Unheimliche” neu formuliert.

Mit den Installationen in Movable Point hat Hyehyeon Kwon eine sehr persönliche und einnehmende Art des „Fremdmachens“ entwickelt, die eine äußerst verwirrende, aber letztlich aufschlussreiche und lohnende Erfahrung bietet, die es dem Ausstellungsbesucher ermöglicht, seine Kultur und sein urbanes Umfeld mit neuen Augen zu sehen, Empathie mit dem „Außenseiter“ zu empfinden und darüber nachzudenken, was “Heimat” ist.


Über Hyehyeon Kwon

Hyehyeon Kwon by Polina Akindinova
Hyehyeon Kwon in the Movable Point exhibition by Polina Akindinova

Hyehyeon Kwon absolvierte einen BFA (2015) und einen MFA (2017) an der Ewha Woman’s University in Seoul (Südkorea) und spezialisierte sich dabei auf Keramik. Zwischen 2015 und 2020 präsentierte Kwon ihre Arbeiten in mehreren Gruppenausstellungen in Südkorea und Japan. Im Jahr 2020 waren ihre Arbeiten in zwei Einzelausstellungen in Seoul zu sehen: in Sanwoollim Art and Craft und in der Galerie Meme. Als Studentin und angehende Künstlerin erhielt sie verschiedene Auszeichnungen, darunter den “Sanwoollim Art & Craft Young Artists Award” im Jahr 2019 und den “Young Korean Artists Association Award” im Jahr 2020. Eine Arbeit aus ihrer Serie Map Projections erhielt eine “Honorable Mention” bei der Cheongju International Craft Competition 2021 auf der Cheongju Craft Biennale in Südkorea. Mehr Information über Hyehyeon Kwon.

Movable Point – Einzelausstellung von Hyehyeon Kwon
12. bis 16. Oktober 2021, Dienstag bis Samstag, 14 bis 19 Uhr

Eintritt frei

SomoS, Kottbusser Damm 95, 1.0G, 10967 Berlin (U8 – Schönleinstraße)


Press release / Facebook Event Seite / Besuchsinformation


Hyehyeon Kwons Künstleraufenthalt bei SomoS wurde freundlicherweise vom Arts Council Korea _ ARKO unterstützt.

Arts Council Korea

Dieser Text ist auch verfügbar in: Englisch Holländisch Koreanisch

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